Das Phänomen des zahnlosen Tigers

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Ist das klassische Innovationsmanagement zum Scheitern verurteilt? Viele Konzerne und Mittelständler haben verstanden, dass sie ein digitales Geschäftsmodell brauchen oder ihre Arbeitsweisen ändern müssen, um in den sich rasant verändernden globalen Märkten noch mithalten zu können. Sie kaufen Startups, gründen Innovation Labs und digitale Töchter, die sie leider häufig in das Korsett der bestehenden hierarchischen Organisation pressen.

Es ist wie mit dem zahnlosen Tiger: Wenn er brüllt, hört er sich wirklich gefährlich an, doch zubeißen kann er nicht. Die Beute entkommt. Konzerne und Unternehmen schaffen plötzlich Freiräume, in denen die Mitarbeiter Fehler machen, sich selbst organisierende Teams bilden, Entscheidungen treffen und Verantwortung übernehmen sollen. Doch die Organisation als Ganzes ist nach wie vor in ihren hierarchischen Strukturen und ihrem Kästchenorganigramm verhaftet, auf Perfektion und Optimierung getrimmt. Die neue Freiheit hat keine Chance.

„Je schmaler die Straße ist, desto höher ist die Gefahr, dass man bei einem Fahrfehler in die Leitplanke kracht.“

Fehler nicht vorgesehen

Das Top-Management entwickelt die Strategien und vergibt die Budgets. Jeder Abteilungsleiter muss sich nach oben rechtfertigen, doch oben ist weit entfernt von unten. Das Management misst den Abteilungsleiter an fest definierten Zahlen. Der wiederum hat keine Möglichkeit, diesen zu engen Rahmen samt fixen Vorgaben zu verlassen, ohne seine Position und seine Karriere zu gefährden. Er muss liefern. Das kann er am besten, wenn er alles beim Alten lässt. Der Gewinn mag dann zwar viel kleiner sein als wenn er ein Experiment wagen würde, aber er ist sicher und das Top-Management beziehungsweise der Unternehmer ist zufrieden.

Es ist wie im Straßenverkehr: Je schmaler die Straße ist, desto höher ist die Gefahr, dass man bei einem Fahrfehler in die Leitplanke kracht. Um Fehler machen zu können, braucht man eine breite Straße. Doch die Straßen und Leitplanken in einem gewachsenen Unternehmen können nicht von heute auf morgen umgebaut werden. Das braucht viel Zeit.

„Je weniger Schnittstellen zum Unternehmen bestehen, desto besser.“

Radikale Autonomie

Ergo ist es am besten, ein neues Unternehmen, fernab der Kernorganisation zu gründen, das über Autonomie verfügt und weder in die Strukturen und Regeln des Mutterunternehmens eingebunden noch am selben Ort angesiedelt ist. Je weniger Schnittstellen zum Unternehmen bestehen, desto besser.

Die Unternehmen machen aber häufig den Fehler, die Vergütungsstrukturen des Mutterunternehmens inklusive Bonussystemen auf Innovation Labs, Neugründungen, zugekaufte Startups oder agile Teams übertragen werden sollten. Die Mitarbeiter dann keine andere Wahl, als alles als Erfolg darzustellen, um ihre interne Karriere nicht zu gefährden. Sie sind abhängig beschäftigt und haben Angst um ihren Arbeitsplatz und ihre Karriere, wenn das Projekt scheitert.

Wenn ein Innovation Lab oder ein neues Geschäftsmodell mit zehn Millionen Euro aufgebaut wird, aber die gleichen Incentivierungs-Strukturen erhält wie das Unternehmen, wird es nur in den seltensten Fällen ein Erfolg. Darüber hinaus ist der Vorstand oder Geschäftsführer, der die Investition verantworten muss, ebenfalls abhängig beschäftigt und somit unter Erfolgszwang.

„Der Sinn des Unternehmens, das Warum, ist die Initialzündung, weswegen Menschen zusammenkommen, um ein Unternehmen zu bilden.“

Motivation ist eine Frage der Verantwortung

Nicht umsonst ist es in amerikanischen Unternehmen Usus, Aktiengesellschaften zu gründen und die Mitarbeiter zu beteiligen. Das Problem der falschen Incentivierung lässt sich nur lösen, wenn man Mitarbeiter zu Mit-Unternehmern macht. Wer also Startups und Spin-offs gründet, sollte sich von Anfang an Gedanken über Beteiligungsstrukturen machen und nur Menschen dafür einstellen, die bereit sind, Verantwortung für ihr Tun zu übernehmen und ins Risiko zu gehen.

Nur wenn sie für die Ziele des Projekts, der neuen Firma brennen, werden sie mit Leidenschaft dabei und bereit sein, Fehler und damit persönliche Einbußen in Kauf zu nehmen. Wer lediglich für andere arbeitet, wird dieses Risiko nicht eingehen. Der Sinn des Unternehmens, das Warum, ist die Initialzündung, weswegen Menschen zusammenkommen, um ein Unternehmen zu bilden. Die Werte bilden das Gerüst, das sie zusammenhält. Das gemeinsame Ziel weist die Richtung.

Eine Beschäftigungsgarantie des Mutterunternehmens führt dazu, dass manche Mitarbeiter die Verantwortung gleich wieder abgeben, es sich im Tigerkäfig gemütlich machen und laut brüllen, wenn sie über eine kleine Optimierung zwei Prozent eingespart haben.

Arbeiten in Ihrem Unternehmer wahre Unternehmer?

Johannes Ellenberg

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